6. Heimleiter: Edwin Bosshard, 1991–2012

 

1991: Am 1. August 1991 trat Edwin Bosshard seine Aufgabe als Verwalter an. Seine Frau, Marianne Bosshard, übernahm die Leitung des Arztzimmers. Die Funktion der Haushaltsleiterin, die bisher Elisabeth Bommeli inne hatte, wurde Christine Fellmann per 5. August 1991 anvertraut.

 

1992: Erstmals wurde ein Teil der Trauben zu Roséwein verwertet. Man war gespannt, wie der Wein bei den Kunden Anklang finden wird. Im Bereich der psychiatrischen Betreuung beendete Prof. Dr. med. Roland Kuhn seine langjährige Tätigkeit. Während etwa 20 Jahre betreute er zusammen mit seiner Frau die Heimbewohner. Dr. Markus Huber aus Frauenfeld übernahm als Psychiater die Nachfolge.

 

1993: Das bestehende Heimkonzept sollte grundsätzlich geprüft und allenfalls modifiziert werden. Die Betriebskommission stimmt dem Projekt «Wägwiiser» zu, das sich der Thematik annahm. Die Projektarbeit und eine allfällige Reorganisation sollten im Jahre 1995 zum 100-Jahr-Jubiläum der Kolonie abgeschlossen sein. 

Die erste Schlosszeitung erschien. Diese Hauszeitung, welche vorübergehend auch als Dorfzeitung erweitert wurde, sollte ein regelmässiges Bindeglied zwischen den Bewohnern, Mitarbeitenden, Versorgern und der Dorfbevölkerung darstellen.

 

1994: Drei herausragende Ereignisse fanden in diesem Jahr statt:

  1. Arbeiten am Projekt Wägwiiser mit neuem Konzept und den Strukturen für die Kolonie
  2. Umbau des Schweinezucht-Stalles
  3. 900-Jahr-Feier von Herdern

Der Rebberg der Kolonie Herdern wurde nach dem Umstelljahr 1993 dieses Jahr als IP (integrierte Produktion) / VINATURA (Schutzmarke für IP-Weine) Betrieb zertifiziert. 


Die Betriebskommission erteilte die Bewilligung für eine Teilzeitstelle. So konnte im Juni 1993 die Tätigkeit im «Wärchhüsli» aufgenommen werden. Daraus entwickelte sich später das Kreativatelier.

 

1995: Die Kolonie besteht seit 100 Jahren. Der altgediente Begriff «Kolonie» wich nach 100 Jahren der neuen Bezeichnung «Wohn-, Arbeits- und Beschäftigungsstätte Schloss Herdern». Der neue Name widerspiegelt gegen aussen eine Entwicklung, welche sich schon in den letzten Jahren und Jahrzehnten angekündigt hatte und welche die Institution im Jubiläumsjahr nun auch in ihren Strukturen vollzog. Der Jahresbericht erschien, angepasst an den neuen Auftritt, in neuem Gewand: Format A4 (bisher immer A5).
Den Höhepunkt des Jubiläumsjahres bildete das Wochenende vom 8./9./10. September. Nach der Präsentation der interessant gestalteten Festschrift in der Woche vor dem Jubiläum, fand am Freitagnachmittag in der Turnhalle Herdern eine sehr gut besuchte ausserordentliche Mitgliederversammlung statt, an der über 150 Personen teilnahmen. Die vorgeschlagene Statutenänderung mit dem Hauptpunkt der Namensänderung wurde diskussionslos und einstimmig genehmigt.

Als Dank an das Dorf und seine Bevölkerung übergab Schloss Herdern der Gemeinde das Bushäuschen, das in Zusammenarbeit mit den Handwerkern aus der Umgebung grösstenteils unentgeltlich erstellt wurde.

16. Dezember 1995: Erste Auflage des «Schlossmärts» (später Weihnachtsmarkt genannt).

Im Sommer 1995 findet der 1. Rebsunntig der Seebachtaler Weinbauern statt.

 

«Ein Leitsatz, den sich schon die Gründerväter unserer Institution vor mehr als 100 Jahren auf die Fahne geschrieben haben, ist nach wie vor ein tragendes Element unserer Tätigkeit: Man muss Menschen mögen!» (Zitat aus Jahresbericht 1996)

 

1996: Die alte Heizung musste ersetzt werden, wobei sich die Betriebs- und Zentralkommission für den Bau einer modernen Holzschnitzelheizung entschied. Im gleichen Zug mussten auch die Fernleitungen erneuert werden.
Seit Mitte April 1996 läuft ein einjähriger Versuchsbetrieb mit kontrolliertem Alkoholausschank.

 

«Immer mehr werden von Fürsorgestellen Arbeitsplätze für Menschen gesucht, die eine feste Tagesstruktur benötigen, aber weiterhin in ihrem bisherigen Umfeld wohnhaft bleibe können. Dies hat zu einem markanten Anstieg der extern Wohnenden geführt.» (Zitat aus Jahresbericht 1996)

 

1997: Einführung Qualitätsmanagement.

13.12.1997: Einweihung des Schlossladens am traditionellen Weihnachtsmarkt.

Nach dem Umbau im ehemaligen Hallenbad bekommt die Beschäftigungsstätte einen grossen, hellen Raum für die verschiedensten Bedürfnisse.

 

«Es war ein schwerer Schritt, den wir im Frühjahr 1998 mit der Sanierung unseres Schweinebestandes vollziehen mussten. Wie viele Stallungen in der Region Seerücken West mussten auch wir bis Ende April den gesamten Schweinebestand (Zucht- und Mastschweine) abstossen, weil die Lungenerkrankungen Enzootische Pneumonie und Aktinobazillose aufgetreten waren.» (Zitat aus Jahresbericht 1998)

 

1998: Die Nachfrage nach Heimplätzen nimmt langsam ab.
Seit August 1998 bietet Schloss Herdern auch Frauen Heimplätze an. Damit brach die Institution mit einer langen Tradition: Während über 100 Jahren waren Frauen im Heimalltag ausgeklammert. Doch mit den positiven Erfahrungen mit extern betreuten Frauen, die auswärts wohnen und bei Schloss Herdern einer Arbeit nachgehen, wagten wir den Schritt. Mit wenigen baulichen Massnahmen wurden die nötigen Voraussetzungen geschaffen für den Einzug einer Frauengruppe.

 

1999: Am 26. Dezember 1999 fegte der Orkan Lothar mit Rekordgeschwindigkeiten über die Schweiz und hinterliess seine Spuren. Er bescherte dem Forstpersonal von Schloss Herdern viel Arbeit.
Die Anfeuerhilfe K-Lumet wird in der Industrieabteilung neu in Lizenz hergestellt.
Der Thurgauer Schlosskäse ergänzt seit 1999 das Käsesortiment von Schloss Herdern.

 

2000: Ende 2000 wurde Schloss Herdern nach den Normen von ISO 9001 sowie des Bundesamtes für Sozialversicherung zertifiziert.
Reorganisation der Betreuung von Externen: 19 Personen arbeiten zur Zeit an geschützten Arbeitsplätzen in der Institution und wohnen in einer eigenen Wohnung ausserhalb von Schloss Herdern. Neu werden die sogenannten «Externen» nicht mehr vom jeweiligen Arbeitsbereich-Verantwortlichen betreut, sondern vom Co-Leiter der Beschäftigungsstätte. Er kümmert sich einen Nachmittag pro Woche um die Anliegen aller Involvierten.

 

Andere Externe glauben von sich, einen Sonderstatus zu haben. Sie sehen sich dann gar nicht als Heimbewohner, sondern eher als Mitarbeiter. Umso schwieriger ist es, ihnen klarzumachen, dass in der Arbeitswelt draussen noch wesentlich höhere Leistungen gefragt sind. Ein anderer Fall ist dieser: Wenn ein «Interner» plötzlich «extern» wird, weckt dieser bei etwelchen Anderen einen gewissen Ehrgeiz nach dem Motto: «Das könnte ich ja auch.»

 

 2001: Erstmals musste der Betrieb auf die Direktzahlungen vom Bund verzichten. Bis anhin war das ein jährlicher Betrag von rund 110'000 Franken. Neu ist der Betrag auf 17'000 Franken geschrumpft. Entstanden ist diese Änderung durch Umstellungen der Agrarpolitik. 
Durch einen 33 Quadratmeter grossen Anbau wird der Schlossladen erweitert. Die guten Verkaufszahlen der Vorjahre liessen diesen Schritt zu.
Mit dem Einbau eines neuen Schliesssystems wurde ein wichtiger Schritt für die Sicherheit getan.  Ebenfalls in den Bereich der Sicherheit fällt der Ausbau der Brandmeldeanlage, in die u.a. die Schreinerei integriert wurde.
Die Personensuchanlage, die wartungsintensiv und nicht immer zuverlässig war, konnte durch Mobiltelefone ersetzt werden. 
Auch die Informatik musste in diesem Jahr aufgerüstet werden. Zu einem modernen Arbeitsplatz gehört heute einfach ein PC. 

 

Im Rahmen einer Neuorientierung beschloss die Leitung von Schloss Herdern 1993 den Alkoholkonsum in kontrolliertem Masse zu erlauben. Aus dem Projekt mit dem Namen Wägwiiser entstanden wirklich wegweisende Neuerungen…

Ein Standbein der neuen Strategie war die Kontrolle des Alkoholkonsums im Rebhüsli, der schlossinternen Beiz. «Wir können heute sagen, dass dieser Entscheid richtig war», sagt die Leiterin der Beiz, Erika Eichenberger.

(Auszüge aus Beitrag «Trinken statt saufen», Jahresbericht 2001)

 

 2002: Mit dem Spatenstich für den neuen Freilaufstall wurde in der Viehhaltung von Schloss Herdern eine neue Ära eingeläutet.

Der Schlossladen Herdern feierte das fünfjährige Bestehen. Das Sortiment hat sich im Laufe dieser Zeit stark den Bedürfnissen seiner Kundschaft angepasst.

 

«Heimplätze, wie Schloss Herdern sie anbietet, sind begehrt. Aus den Anfragen zu schliessen, ist die Nachfrage stetig am Steigen. In diesem Jahr musste die Institution eine Warteliste einführen, da das Wohnheim das ganze Jahr über voll ausgelastet war.» (Zitat aus Jahresbericht 2002)

 

2003: Am 18. August zogen 70 Kühe aus den Ställen «Debrunnen und «Dorfscheune» in den neuen Freilaufstall von Schloss Herdern um – ein Meilenstein für den Bereich Landwirtschaft. Prunkstück des neuen Stalles ist die moderne Melkanlage, das sogenannte Melkkarussell.

Neuerung in der Käseherstellung: Erstmals wurde Tilsiterkäse in Blockform zu etwa 15 Kilogramm produziert.
Anfang Februar kündigte die St. Galler Textilrecycling-Firma Texta AG nach 20 Jahren die Zusammenarbeit mit Schloss Herdern. Auch wenn die Arbeit den Bewohnern und Angestellten nicht immer Freude bereitete, ist der Verlust dieses Auftrages bedauerlich, bot doch die Putzlappenherstellung Arbeit für bis zu sieben Bewohnern.

 

2004: Mit der Erneuerung des bestehenden Erscheinungsbildes wollte Schloss Herdern einen klaren und unverwechselbaren Auftritt erreichen. Es entstand kein vollkommen neues Logo, es wurde ein grosser Wiedererkennungswert angestrebt. Der Schlossladen wird in Zukunft nicht mehr mit eigenem Logo auftreten. Die Bezeichnung «Wohn-, Arbeits- und Beschäftigungsstätte» wird weggelassen. Neu ist der Schriftzug «Leben und Arbeiten» am unteren Rand von Schriftstücken zu finden.

Am 27. November 2004 haben Volk und Stände die NFA, die Neugestaltung des Finanzausgleichs und die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, angenommen. Damit sind die Nägel für die Betreuung Behinderter neu eingeschlagen.

 

«Mass halten» heisst aber nicht «zu Tode sparen» oder «nichts mehr investieren», sondern bedeutet, die Mittel noch gezielter für Projekte einzusetzen, die unseren Bewohnern und unseren Mitarbeitern jeden Tag dienen. Es braucht auch Zeit für die Umsetzung guter Verschläge. Zum «Mass halten» gehören deshalb auch das Vorausdenken und Vorausschauen. Das wiederum ist nur möglich, wenn niemand den Kopf hängen lässt. (Zitat aus Vorwort Jahresbericht 2005 von Martin Huber)

 

2007: Dieses Jahr stand die Wohnheimsanierung an. Der Umbau hatte zum Ziel, Mobiliar, Wärme und Behaglichkeit, Lärmschutz, Licht, Hygiene und Unterhalt zu verbessern. Im Bereich öffentliche Räume entstand zwischen Speisesaal und Wohnheim 1 ein neuer Mehrzweckraum. Er soll als Znüniraum, Speisesaal-Erweiterung, «Beizli», Begegnungsraum und Sitzungszimmer dienen. Für den Umbau des Wohnheimes wurde ein Containerdorf aufgestellt. Nach der herausforderungsreichen Planungsphase zogen die Bewohner im Mai/Juni ins Container-Dorf bzw. in neu eingerichtete Zimmer im Schlossgebäude ein. Nach fünfeinhalb Monaten Bauzeit durfte der erste neu sanierte Teil des Wohnheims 1 gegen Ende November bezogen werden.

 

2008: Im September war der Baubeginn der Gülle-Bodenleitung vom Dorfstall durch das Debrunner Tobel nach Debrunnen und von dort weiter ins Schwändli. Insgesamt verlegten wir 3500 Meter Leitungsrohre und erbrachten Eigenleistungen von über 400 Arbeitsstunden.
Nach 14-monatiger Bauzeit wurde im Spätsommer der Umbau beendet. Resultat der Wohnheim-Sanierung sind mehr Ruhe, Licht und Wärme – und viele zufriedene Bewohnerinnen und Bewohner.

Im Frühjahr 2009, rechtzeitig zum Vegetationsbeginn, konnten wir die neu installierte Gülletechnik – bestehend aus Kolbenpumpe, Bodenleitung und Schleppschlauchverteiler – in Betrieb nehmen.

Anstelle des «Rebsunntig» wurde am 15. Juni eine Wein- und Gourmetwanderung durchgeführt, an der 1100 Geniesser teilnahmen. Die Küchenmannschaft von Schloss Herdern war für die «Trilogie von Zopfbrot» am Start zuständig und offerierte als Vorspeise eine Kaninchenterrine im Haselnussmantel mit Rhabarber-Wasabi-Chutney im Salatbouquet.

Nach 27-jähriger Tätigkeit trat Heimarzt Dr. Martin Escher in den verdienten Ruhestand.

 

«Erfreulich in Erinnerung bleibt hingegen die Milchleistung der Kuh Willora, die für ihre aussergewöhnliche Lebensleistung von 100'000 Kilogramm Milch ausgezeichnet wurde.» (Zitat aus Jahresbericht 2009)

 

2011: Neupositionierung der Eigenprodukte. Schloss Herdern fehlte eine klare Strategie, was die Eigenprodukte anging. Handlungsbedarf bestand unter anderem in Sachen Organisation und punkto Ausrichtung am Markt. Strategieberaterin Karin Luger begleitet die Neuausrichtung seit eineinhalb Jahren. Sie arbeitet nach dem Prinzip der «wertebasierten Veränderungs- und Positionierungsstrategie» mit dem Ziel, Kräfte zu bündeln, Raum für Neues zu schaffen und eine nachhaltige Positionierung am Markt zu sichern. Und so haben die Produkte im Frühsommer 2011 ein neues Gepräge erhalten. Augenfällig sind die neuen, einheitlichen Etiketten auf den Produkten aus der Schlossküche – die orange Silhouette des Schlosses mit dem charakteristischen Zwiebelturm auf schwarzem Grund, darunter ein weisser Balken, in den der Produktname eingedruckt werden kann. Die nun einheitlichen Gläser für die Produkte aus der Schlossküche werden von einem schwarzen Deckel verschlossen und mit einem Qualitätssiegel versehen, auf dem das bekannte Logo prangt.

 

 «Schloss Herderns Käsermeister macht Meister-Käse: Arnold Bänteli erlangte an der Olma 2011 die Auszeichnung für den besten Tilsiter.» (Zitat aus Jahresbericht 2011)

 

Ende Juni 2012: Nach über 20-jähriger Tätigkeit als Heimleiter tritt Edwin Bosshard in den wohlverdienten Ruhestand und übergibt seine Aufgaben dem neuen Geschäftsleiter Armin Strom.