1. Verwalter: Gottfried Haas, 1895-1905

 

Gottfried Haas von Rorbach (BE) wurde zum 1. Verwalter der Arbeiter-Kolonie gewählt. Am 1. Oktober 1895 zog er mit seiner Familie nach Herdern. Bereits einen Monat später öffnete die Arbeiter-Kolonie Herdern ohne Feierlichkeiten ihre Türen für 4 Kolonisten. Ende November waren es 23, an Weihnachten schon 43 und im Januar 1896 vermeldete man mit 50 Kolonisten bereits Vollbelegung.

 

«Die Mehrheit der Aufnahmesuchenden kommt einsam von der Strasse, oft schlecht gekleidet, voll Ungeziefer, halb erfroren, hungrig, nicht selten angetrunken, gewöhnlich mutlos oder verbittert.»
(Zitat aus dem 1. Jahresbericht von 1895)

 

Auf den Zeitpunkt der Eröffnung entwarf das Direktionskomitee ein Reglement für die Anstalt, eine Hausordnung, eine Tagesordnung für das Winter- und für das Sommerhalbjahr, eine Speiseordnung und ein Formular für den Arbeitsvertrag mit den Kolonisten.

 

Kolonisten liessen sich damals grob in vier Gruppen einteilen: 

  1. Tüchtige Berufsleute, deren Beruf Saisonschwankungen unterliegt
  2. Landwirtschaftliche und gewerbliche Arbeiter von geringerer Leistungskraft in Folge von mangelhafter Begabung/Berufsbildung oder wegen Gebrechlichkeit und Alter
  3. Männer mit Alkoholproblemen
  4. Entlassene Sträflinge, die gewillt sind ein neues, besseres Leben anzufangen

«Eine Anstalt dieser Art ist in dem vielgestaltigen Leben der Gegenwart mit seinen Prüfungen und Versuchungen ein unbedingtes Bedürfnis.»
(Zitat aus 2. Jahresbericht 1896) 

 

Das Aufnahmeverfahren

Nachdem der sich Anmeldende von der Hausordnung Kenntnis genommen und seine Personalien mitgeteilt hat, wird ihm im Falle der Aufnahme der Arbeitsvertrag zur Unterschrift vorgelegt. Er erhält sodann ein warmes Bad, während dessen, wenn nötig, seine Kleider desinfiziert werden; hat er nur eine Kleidung, und ist diese noch, wie oft, mürbe und zur Arbeit untauglich, so erhält er leihweise eine Arbeitskleidung von der Anstalt. Nun erhält der neue Kolonist ein Bett und einen Schrank zugewiesen; sein Geld gibt er dem Verwalter in Verwahrung. Dann folgt die erste Mahlzeit, die gewöhnlich trefflich schmeckt. Nachher geht es an die Arbeit. Diese wird, so weit es möglich ist, mit Rücksicht auf die Kräfte und Fertigkeiten der Einzelnen verteilt. Ab dem 13. Arbeitstag erhielten die Kolonisten 20 bis höchsten 60 Centimes Arbeitsentschädigung pro Tag (ab 1897 = Fr. -.80).

 

«Um zu fleissiger Arbeit anzuspornen, liess die Verwaltung, wann es angieng, im Akkord arbeiten.»
(Zitat aus 5. Jahresbericht 1898)

 

Erkrankungen / Unfall / Todesfälle

In den ersten eineinhalb Jahren verzeichnet die Kolonie nur einen Todesfall bei den Kolonisten. Leider verstarb in dieser Zeit auch das jüngste Kind der Familie Haas an Croup. Herr Dr. Rippman aus Stein am Rhein sorgte trotz der erheblichen Entfernung unentgeltlich für die ärztliche Behandlung der Kolonisten.

Im Jahre 1899 ereignete sich der Erste Unfall in der Kolonie: Ein Kolonist hatte bei Bauarbeiten ein Gerüst fehlerhaft erstellt, sodass dieses einstürzte. Dabei wurde sein Fuss derart zerschmettert, dass er im Spital Frauenfeld amputiert werden musste. Der Kolonist starb anschliessend.

Im Winter 1902 trat eine Influenzaepidemie auf und es gab auch mehrere Lungen- und Brustfellentzündungen.

 

«Erschwert wird die Handhabung der Anstaltsordnung dadurch, dass die Kolonie in einem Dorfe mit mehreren Wirtschaften gelegen ist. Natürlich ist deren Besuch den Kolonisten unbedingt verboten, und mit Wegweisung bedroht. Aber es wäre besser, wenn die Versuchung nicht so nahe wäre. Ebenso macht sich die Schwierigkeit, ein Angestelltenpersonal zu finden, das nicht nur beruflich tüchtig ist, sondern auch Verständnis und Herz für die Aufgabe der Anstalt hat, nicht selten schmerzlich fühlbar.»
(Zitat aus 2. Jahresbericht 1896) 

 

Ereignisse

1897 Umbau des Trottengebäudes für Erweiterung auf 100 Kolonistenplätze

1899 wurde der Maschinenraum im Käsereigebäude für den Motorbetrieb eingerichtet.

1899 Bauarbeiten rund um das Schlossgebäude

1901 Ankauf Gut Debrunnen

 

«Die Kolonisten erhalten nach dem zweiten Frühstück 3 dl schwachen Most. Den Trinkern unter ihnen aber, denen die volle Abstinenz nachdrücklich empfohlen wird, erhalten Ersatzgetränke.

Auch auf die grössere Billigkeit einer Verwertung des eigenen Mostes wurde hingewiesen. Es hat stets eine erhebliche Anzahl überzeugter Abstinenten in der Kolonie.»
(Zitate aus 10. Jahresbericht von 1904)

 

Personelles

Im Laufe des Jahres 1903 wurde die Stelle eines Hausmeisters neu geschaffen und diente zur Mithilfe in der Durchführung der Ordnung und Kontrolle.

 

Verwalters Haas erklärte seinen Rücktritt. Er wurde zum Verwalter des Waisenhauses in Burgdorf gewählt. Die Wahl seines Nachfolgers fiel auf Herrn Balthasar Castelberg von Kästris, bisher Waisenvater von Chur in Masans. Die Amtsübergabe fand im Januar 1906 statt. 

 

«Die Theateraufführung wurde am Sylvesterabend für Gäste aus dem Dorfe wiederholt. Auch der Neujahrstag wurde festlich begangen. Das freundliche Verhältnis der Bevölkerung des Dorfes zu der Kolonie, das in diesen Zügen zu Tage tritt, gereicht uns zu besonderer Freude.»
(Zitat aus 9. Jahresbericht 1903)