3. Verwalter: Johann Martin Castelberg, 1933–1961

 

1933: Als Nachfolger seines verstorbenen Vaters Balthasar Castelberg wählte das Direktionskomitee Johann Martin Castelberg als Verwalter.

J. M. Castelberg verbrachte seine Jugendjahre auf Schloss Herdern. Von hier aus besuchte er die Schulen, zuletzt die Landwirtschaftliche Schule Custerhof. Nach Beendigung seiner Ausbildung trat er in den zwanziger Jahren in den Dienst der Anstalt Herdern, wo er während einiger Jahre als Aufseher tätig war, bis er zum Verwalter gewählt wurde.

 

1934:  07.08.1934 Wiederverheiratung von Verwalter Castelberg

Wegen schlechter Heuernte musste der Viehbestand vermindert werden und Heu im Betrag von 13'000 Franken dazugekauft werden.

 

1935: Die neue Wasserversorgung wurde fertiggestellt sowie eine eigene Hausschlächterei mit Kühlanlage gebaut.

 

1936: Im Winter war jeweils die Haupttätigkeit die Durchforstung des Waldes. Doch ging bei einem einmal gut gepflegten Waldbestand die Arbeit wesentlich zurück. Als neue Winter-Betätigung entwickelten sich die Akkordarbeiten für leistungsfähigere  Kolonisten. Es handelte sich um die Ausführung von grösseren Arbeiten (Entwässerungen, Strassenbauten, Kiesgrubenarbeiten). Auftraggeber waren der Staat, Gemeinden oder Korporationen.

 

«Die 4 Zugochsen, die den Dienst eines kostspieligen Traktors versehen, haben durch ihre Zugarbeit laut Buch Fr. 1948.15 verdient.» (Zitat aus Jahresbericht 1936)

 

1937: Wegen der vielen Abweisungen machte man sich Gedanken, in der Kolonie für 150 Männer Unterkunft zu schaffen. Diese Idee wurde nicht realisiert, weil man nicht nur Unterkunftsstätte sein wollte. So müssten neue Arbeitsplätze geschaffen werden, was zur damaligen Zeit schon in den Wintermonaten sehr schwierig war.

 

1939: Es wurde in den Jahresberichten immer wieder darauf hingewiesen, dass der Kauf der Alp Hütten in Gonten eine gute Sache war. So beispielsweise im Jahresbericht 1939: Das Heu wird jeweils von 12 Kolonisten während eines Sommermonats eingebracht.

Leistungsvergleich bei Milchkühen: Im Jahr 1930 = 3'261 kg Milch/Kuh; 1939 = 3'595 kg Milch/Kuh.

Ausbruch des zweiten Weltkrieges.

 

1940: Die Arbeiterkolonie stand unter dem Regiment der schweizerischen Kriegswirtschaft. Die Belegungszahlen stagnierten stark und entsprachen etwa jenen der Jahre 1916/21. Es blieben eher ältere Männer (zwischen 41-70 Jahre). Man musste vom ehemals gefassten Grundsatz, möglichst ohne Maschinen zu arbeiten, abweichen. Es wurde ein Selbstbinder und eine neue Dreschmaschine gekauft. Da fast alle Zugpferde eingezogen waren, wurde ein Traktor erworben.

Tilsiter durfte nicht mehr frei verkauft werden, sondern musste der Käseunion zu einem vorgeschriebenen Preis abgeliefert werden. Das führte zu grossen finanziellen Einbussen.

Auch der Lastwagen wurde vom Militär eingezogen sowie 7 kräftige Pferde.

 

«Zum Rücktritt aus dem Direktionskomitees von Tierarzt Adolf Merk: Wir lassen diesen alten Kämpen, der funkelnden Auges seine Ideen verfocht, gar ungern ziehen. Möge er auch fernerhin das Interesse an der Arbeiterkolonie bewahren, er wird stets ein gern gesehener Gast sein.» (Zitat aus Jahresbericht 1940)

 

 1941-1944: Die Kriegszeit schränkte den Betrieb der Arbeiterkolonie stark ein. Zum einen arbeiteten nur noch ältere und schwächer Männer in der Kolonie, zum anderen wurden Lastwagen, Pferde und Lebensmittel eingezogen. Einige Angestellte leisteten Militärdienst und so verteilte sich die Arbeit auf die übrigen Angestellten. Auch war die Zuteilung an Brennstoff derart gering, dass der Traktor nur einen Bruchteil der täglichen Mühen abzunehmen vermochte. Im Gemüsebau beschränkte man sich infolge Mangel an Arbeitskräften auf den Eigenkonsum. Im Winter beanspruchte die Durchforstung des Waldes alle Arbeitskräfte. Es konnten keine Akkordarbeiten mehr verrichtet werden. Der nordostschweiz. Milchverband verlangte, dass die Kolonie ab 28.11.1943 täglich 400 Liter Vollmilch nach Zürich liefern musste. Auch die Mahlzeiten-Zubereitung in der Kolonie wurde wegen der Lebensmittelknappheit und -teuerung immer schwieriger. Trotzdem wurde etappenweise die Räume der Kolonie zeitgemäss umgebaut.

 

1946: Die projektierte Erweiterung des Artillerie-Schiessplatzes Frauenfeld bedrohte nicht nur die Existenz zahlreicher Bauernfamilien, sondern auch die Arbeiterkolonie sollte unersetzliches Kulturland und Wald abgeben. Dadurch würde die Kolonie in die Notlage der Entstehungszeit zurückfallen und könnte ihre soziale Aufgabe nicht mehr erfüllen. Das Direktionskomitee protestierte geschlossen gegen diese wertvolles Kulturland fressende Ausdehnung des Schiessplatzes und solidarisierte sich mit der «Interessengemeinschaft gegen die Erweiterung des Artillerie-Schiessplatzes Frauenfeld». Auch der Grosse Rat des Kantons Thurgau unterstützte die Landeigentümer und beauftragt den Thurgauer Regierungsrat, beim Bundesrat und beim eidg. Militärdepartment gegen die Schiessplatzerweiterung mit aller Schärfe Stellung zu beziehen.

Die Käseproduktion wurde erweitert, indem neben vollfettem Tilsiter auch Gruyère produziert wurde. 

 

«Im Jahre 1947 wurde das alte Büro erneuert: Das alte Feuerhörnli, die Jagdgewehre und die gerahmten Urkunden über Viehprämierungen sind verschwunden; neue Pulte und Rollschränke stehen in dem hell gestrichenen Raum, der nun mit Recht die Bezeichnung Bureau verdient.» (Zitat aus Jahresbericht 1947)

 

1948: Das Bild der Kolonisten hatte sich geändert: Es sind keine Vagabunden mehr, sondern 90 Prozent der Männer werden von Verwaltungsbehörden auf eine bestimmte Dauer in die Kolonie eingewiesen. Meistens ist der Alkoholismus schuld.

 

1949: Seit 3 Jahren (1946-1949) litt die Landwirtschaft unter grosser Dürre und wegen Engerlingfrass erlitten auch die Kartoffelernte sowie die Wiesen grossen Schaden.

 

1950: Die Betriebskommission beschloss, einen «Weihnachtsfonds für die Kolonisten» zu schaffen, aus dem der Weihnachtsbescherung eine zusätzliche Bereicherung zukommt. Dieser Fonds soll womöglich durch besondere Eingänge und Schenkungen geäufnet werden.
In diesem Jahr war die Bekämpfung der Rindertuberkulose ein grosses Thema.

 

«1899 wurde durch Mehrheitsbeschluss des Direktionskomitees versuchsweise das Alkoholverbot in der Kolonie angeordnet. Die Folge war, dass die Kolonisten am Sonntagmittag, ihrem Ausgangstage, Alkoholexzessen ausgesetzt waren. Sei es aus dem unstillbaren Drang des Alkoholsüchtigen oder  aus Trotzeinstellung gegen das Verbot: Es ergaben sich jeden Sonntag einige der Kolonisten übertriebenem Alkoholgenuss, so dass sie polizeilich eingeliefert oder mit dem Fuhrwerk in die Kolonie zurückgebracht werden mussten. Sodann wurde heimlich Schnaps in die Anstalt geschmuggelt, um sich dem stillen Trunk zu ergeben. Die schwerste Folge aber war das Schwinden des Vertrauens in den Anstaltsvater. Nach einem Jahre wurde das Alkoholverbot wieder aufgehoben. Es zeigte sich, dass eine offene Anstalt nicht nach den gleichen Grundsätzen wie ein Gefängnis oder eine Erziehungsanstalt geführt werden kann.» (Zitat aus Jahresbericht 1950)

 

1951: Im Jahresbericht 1951 wurden die langjährigen Angestellten lobend erwähnt und es wurde festgehalten, was bei der Arbeit wichtig sei: 

 

«Es braucht die Begabung der Menschenbehandlung, durch aufmunternden oder humorvollen Zuspruch das Vertrauen eines misstrauischen und zudem niedergedrückten Mannes zu gewinnen, oder den Widerstrebenden und Unbelehrbaren durch ein kräftiges Donnerwetter in die Schuhe zu stellen.»

 

1952: Im Frühjahr wurde bereits der zweite Drittel des Rebberges neu angelegt (27 Aren). Der vor vier Jahren angelegte Drittel dürfte im kommenden Herbst den ersten Vollertrag abwerfen.

 

1954: Zwei Brandfälle ereigneten sich in diesem Berichtsjahr. Am 16.03.1954 morgens um 04.00 Uhr wurde das Dach des zweistöckigen Schweinestalles durch ein Schadenfeuer zerstört. Es konnten sämtliche Schweine, insgesamt 240 Stück, gerettet werden. 15 Ferkel gingen jedoch zu Grunde, weil sie ihre Muttertiere nicht mehr fanden.
Am 07.05.1954, um 23:30 Uhr entstand auf dem Heuboden des Pferdestalles wiederum ein Brand. Verwalter Castelberg konnte mit grösster Anstrengung eine weitere Ausdehnung des Brandes durch die Verwendung von «Minimax» bis zum Eintreffen von Hilfe verhindern. Bei beiden Bränden konnte die Brandursache nicht festgestellt werden und sie bedeutete für die Leitung der Kolonie und die Angestellten sowie für die Kolonisten während Wochen eine grosse Beunruhigung.

 

«Jeder Kolonist erhielt als Tischkarte eine neue ungefaltete 5-Franken-Note sowie ein Paket mit Unterwäsche oder mit einem warmen Pullover im Werte von Fr. 20 – 30 und dazu noch Raucherwaren.» (Zitat aus Jahresbericht 1951 zum Thema Weihnachten)

 

1955: Ein Sturm richtete vom 15./16. Januar grösseren Schaden an den Waldungen an.
Hans Oppikofer, der 29 Jahe in mustergültiger Weise als Meisterkäser der Kolonie diente, ging in Pension. Seine Frau unterstützte ihn tatkräftig und war in der Lage, die Milch selbst zu verarbeiten, wenn ihr Ehemann infolge Krankheit verhindert war. Als Nachfolger wurde Ernst Christinger angestellt.

 

1956: Der erste schwerer Unfall seit Bestehen der Kolonie ereignete sich. Einige Stunden vor der Weihnachtsfeier am 24. Dezember sprang ein 30-jähriger Insasse beim Dreschen in unvorsichtiger Weise vom Fruchtboden 1,7 Meter tief hinunter auf den Dreschtisch und glitt aus. Dabei wurde das rechte Bein von der Dreschtrommel erfasst, so dass das Bein im Spital in halber Wadenhöhe amputiert werden musste. Dieser Unfall veranlasste die Betriebskommission 1958 zum Abschluss einer Unfallversicherung für alle Kolonisten.

 

1957: Mit einer Personalfürsorge wurde ein längst erstrebtes Ziel erreicht. Der Pensions- und Versicherungsfonds für Angestellte übernahm folgende Leistungen: Alters- und Invaliditätsrente, Pension für Witwen und Waisen, ausserordentliche Leistungen für Angestellte bei besonderen, unverschuldeten Unglücksfällen und Beiträge an die AHV.

 

1959: Seit 1943 wehrte sich das Direktionskomitee gegen die Erweiterung des Waffenplatzes. Am 31.12.1959 wies der Bundesrat die Einsprachen gegen die Erweiterung des Waffenplatzes Frauenfeld ab. Das hiess, dass die Kolonie die geplante Ausdehnung des Schiessplatzes mit der Errichtung eines Schiessservituts auf 18 Hektaren Wies- und Ackerland und auf 1 Hektare Wald dulden musste.

 

1960: Verwalter Castelberg erkrankte schwer, seine Frau pflegt ihn und übernahm die Verwaltung der Kolonie mit Unterstützung von treuen Angestellten.

 

1961: Am 2. Dezember 1961 stirbt J. M. Castelberg im Spital Frauenfeld.

 

Auszug aus der Abdankungsrede von Pfarrer Hans Zwingli in der Stadtkirche Frauenfeld am 6. Dezember 1961: «Etwas Knechtisches hat Johann Martin Castelberg nicht im geringsten an sich gehabt. Er war im Gegenteil eine geborene Herrennatur. Es lag in seinem Wesen, Respekt zu gebieten und es war gar nicht leicht, ihm zu widersprechen, obwohl er durchaus frei mit sich rechten und desputieren liess. Wo er aber von seinem Recht überzeugt war, da liess er nicht nach. Auch hatte er eine eigene souveräne Art, mit Menschen und Dingen umzugehen. Er hat nie kleinlich am Rappen geklebt und konnte sehr freigiebig sein, ohne je damit zu verletzen. Auch imponierte ihm Besitz und Macht allein nicht. Nur wer tüchtig war, dem wusste er sich zu beugen und den respektierte er gern. So war es ihm gleich, was für eine Stellung sein Gegenüber hatte, und vor Hoch und Niedrig bewahrte er seine selbstbewusste, freie und fröhliche Art. ....»